Soll ich mich outen?
Vielleicht fragst du dich gerade: „Soll ich mich outen?“ Das Coming-out, also das Offenlegen deiner sexuellen Orientierung oder deines eigentlichen Geschlechts, ist ein großer Schritt. Es kann sich anfühlen, als ob du eine wichtige Entscheidung treffen musst, die dein Leben verändert. Und ja, es ist eine wichtige Entscheidung, aber sie muss nicht überstürzt getroffen werden. In diesem Text findest du Antworten auf wichtige Fragen und bekommst Tipps, wie du mit dem Thema umgehen kannst. Wenn du über diese Frage mit einer Beratungsperson sprechen möchtest, dann kannst du uns gerne schreiben oder einen Termin ausmachen.
In diesem Artikel erfährst du Antworten auf folgende Fragen:
Was bedeutet Coming-out?
Das Coming-out wird häufig in zwei Schritten beschrieben: das innere und das äußere Coming-out.
Beim inneren Coming-out geht es darum, dass du für dich selbst akzeptierst, wer du bist. Du merkst, dass du vielleicht nicht hetero bist, oder dass du dich nicht mit dem Geschlecht, das dir bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizierst. Dieser Prozess kann Zeit brauchen. Es ist okay, wenn nicht gleich alle weiteren Schritte klar sind oder du dir unsicher bist.
Das äußere Coming-out bedeutet, dass du anderen Menschen von deiner sexuellen Orientierung oder deinem eigentlichen Geschlecht erzählst. Das kann ganz schön aufregend oder auch beängstigend sein. Du entscheidest selbst, wann und wem du es sagen möchtest.
Zwischen der Bewusstwerdung, also dem inneren Coming-out, und dem äußeren Coming-out können auch mehrere Jahre vergehen.
Muss ich mich outen?
Viele gehen einfach davon aus, dass ein Mensch heterosexuell ist und lebt oder dass eine Person automatisch das Geschlecht ist, welches ihr bei der Geburt gegeben wurde. Deshalb stellt sich für Personen mit anderen sexuellen Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten im Alltag immer wieder die Frage, ob und wie sie sich outen wollen, damit sie von den anderen als die Person gesehen werden, die sie sind. Es kann ein schönes und befreiendes Gefühl sein, wenn du nicht einen Teil von dir verbergen musst und andere Menschen dich kennen und akzeptieren in allem, was dich ausmacht.
Die Entscheidung, ob du dich outen möchtest, liegt ganz bei dir. Es gibt keinen Zwang, dich zu outen, und es ist völlig in Ordnung, wenn du dir dafür Zeit nehmen möchtest.
Ein anderer Ansatz ist das „Inviting-In“. Hier geht es darum, dass du nur Menschen in dein Leben einlädst, die dich wirklich unterstützen und respektieren. Du erzählst nicht jedem von dir, sondern entscheidest bewusst, wer es erfahren darf. Das kann den Druck verringern und dir helfen, dich sicherer zu fühlen.
„Dies ähnelt auf den ersten Blick dem herkömmlichen Coming-out, aber der entscheidende Unterschied liegt in der Haltung und Beziehungsebene. Beim „Inviting-in“ wird die eigene Sexualität und geschlechtliche Identität als etwas betrachtet, das geteilt werden kann, aber nicht zwingend muss. Es handelt sich um eine bewusste Einladung an bestimmte Personen, zuzuhören. Dies geschieht nicht aus einer Position der Verteidigung heraus wie häufig beim Coming-out, sondern aus der Wertschätzung der eigenen queeren Identität und des Gegenübers.“, schreibt Zuher Jazmati, Podcaster des BBQ-BlackBrownQueer-Podcasts (https://www.siegessaeule.de/magazin/inviting-in-eine-antirassistische-alternative-zum-coming-out/).
Ein Coming-out kann mit Herausforderungen verbunden sein. Es kann sein, dass nicht jeder sofort positiv reagieren wird und dass es zu schwierigen Gesprächen kommt. Aber häufig stehen die Erfahrungen, die Jugendliche und junge Erwachsene bei ihrem äußeren Coming-out machen, im Kontrast zu ihren Befürchtungen im Vorfeld. Oft ist die erste Ansprechperson jemand aus dem Freundeskreis und ein großer Teil erfährt dabei (anders als befürchtet) positive Reaktionen.
Es gibt durchaus auch viele Vorteile: Du kannst endlich du selbst sein, ohne dich verstecken zu müssen. Viele queere Menschen berichten, dass sie nach ihrem Coming-out glücklicher und freier leben. Bleibende Freundschaften erfahren durch ein Coming-out oft eine neue Tiefe und Verbundenheit. Es kann auch dazu führen, dass du neue Freundschaften und Unterstützer*innen findest, die dich so akzeptieren, wie du bist.
Wie kann ich mich outen?
Gute Erfahrungen bestärken dich. Oute dich am besten zuerst bei einem Menschen, der mit großer Wahrscheinlichkeit positiv reagiert.
Informationen und der Austausch mit anderen queeren Menschen (vor Ort oder im Internet) können ebenso helfen.
Sicherheit geht vor. Überlege dir, wie deine Familie, Freund*innen, Lehrkräfte oder Arbeitskolleg*innen reagieren könnten. Wenn du das Gefühl hast, dass du auf Unterstützung stoßen wirst, kann ein Coming-out sehr befreiend sein. Aber wenn du Angst hast, dass du beleidigt, ausgeschlossen oder sogar bedroht werden könntest, solltest du dir gut überlegen, wann und wem du es erzählst. Es gibt keinen Druck, sofort alles offenzulegen. Deine Sicherheit steht an erster Stelle.
Coming-out in der Familie, in der Schule oder am Arbeitsplatz
Das Coming-out in der Familie kann besonders schwierig sein, weil du deine Familie oft nicht aussuchen kannst. Manche Familien reagieren positiv, andere brauchen Zeit, um das zu verstehen. Es kann helfen, sich Unterstützung zu holen, bevor du mit deiner Familie sprichst, z. B. bei einer Vertrauensperson oder einer Beratungsstelle, die dir Tipps geben kann.
In der Schule oder am Arbeitsplatz kann das Coming-out auch eine Herausforderung sein. Es ist wichtig zu wissen, dass du ein Recht darauf hast, so zu sein, wie du bist, ohne dafür ausgeschlossen oder diskriminiert zu werden. Trotzdem solltest du abwägen, ob es für dich sicher und sinnvoll ist, dich zu outen. In vielen Schulen gibt es Vertrauenslehrkräfte oder Schüler*innenvertretungen, die dir zur Seite stehen können. Auch am Arbeitsplatz gibt es oft Ansprechpersonen, die dir helfen können.
Lebenslanges Coming-out
Ein Coming-out als nicht heterosexuell oder nicht cis ist nicht nur ein einmaliger Moment. Im Laufe deines Lebens wirst du immer wieder in Situationen kommen, in denen du erneut vor der Frage stehen wirst, ob du dich outest, z. B. wenn du neue Freundschaften schließt oder den Job wechselst. Mit der Zeit wird es aber einfacher und du wirst sicherer darin, wer du bist.
Besonderheiten eines trans Coming-outs
Wenn du deine Transition vollzogen hast und entsprechendes Passing hast, dann musst du dich unter Umständen gar nicht mehr outen, weil du von außen ganz selbstverständlich als Mann oder Frau angesehen wirst. Da ist dann vor allem in engen Beziehungen und Freundschaften die Frage, ob du es trotzdem erzählen möchtest.
Gleichzeitig können trans Personen im Vorgang der Transition sich nicht entscheiden, ob sie sich outen oder nicht, sondern es passiert zwangsläufig.
Tipps für dein Coming-out
Informiere und vernetze dich: Lerne über deine Identität, damit du selbstbewusst darüber sprechen kannst und lerne von anderen, dass es häufig nicht so schlimm ist, wie man denkt.
Überlege dir, wem du es erzählen willst: Fang mit jemandem an, dem du vertraust.
Bereite dich vor: Überlege, wie du es sagen möchtest und was du tun wirst, wenn die Reaktion nicht so ausfällt, wie du es dir erhoffst.
Such dir Unterstützung: Es kann helfen, wenn jemand bei deinem Coming-out dabei ist oder wenn du weißt, dass du nach dem Gespräch mit jemandem reden kannst.
Fazit: Dein Weg, dein Tempo.
Es gibt keinen festen Plan für ein Coming-out. Jeder Mensch ist unterschiedlich und das ist okay. Ob und wann du dich outest, entscheidest allein du. Wenn du Unterstützung brauchst, sind wir für dich da. Du kannst uns jederzeit in der Onlineberatung schreiben – wir helfen dir gerne weiter!